„Derivate-Steuer“: Hintergrund und Auswirkungen – Ein Interview mit Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Erst sorgte die Transaktionssteuer für Unmut unter den Anlegern und wenig später eine kommende Änderung im Einkommensteuergesetz. Da könnte der kleine Kreis von Anlegern in Deutschland schon auf den Gedanken kommen, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz ihnen das Leben ganz schön schwer machen möchte. Besonders die „Derivate-Steuer“, also die Änderung im Einkommenssteuergesetz könnte zu erstaunlichen Ergebnissen kommen, die sich am Ende des Tages schon ein wenig befremdlich anhören.

Die bisherige Handhabe

Ein simples Beispiel zeigt, zu welchen kuriosen Fällen es für Anleger durch die Änderung des Einkommensteuergesetzes kommen könnte. Wer im Jahr 100.000 Euro an der Börse erwirtschaftete, im selben Jahr aber einen Verlust von 80.000 Euro mit anderen Geschäften – Derivate zum Beispiel – verlor, musste bislang lediglich die Differenz zwischen Gewinn und Verlust versteuern. Im Beispiel also 20.000 Euro. Bei einer Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent ergab sich somit eine Steuer von 5000 Euro.

Nach der Änderung sieht es anders aus!

Tritt die Änderung des Einkommenssteuergesetzes in Kraft, dann dürfen Anleger nicht mehr die kompletten Verluste durch Termingeschäfte mit dem Gewinn verrechnen, sondern nur noch 10.000 Euro. Damit würde sich das vorangegangene Beispiel wie folgt ändern: Der Anleger muss jetzt nicht 20.000 Euro versteuern, sondern 90.000. Aufgrund der 25- prozentigen Abgeltungsteuer ergibt sich somit eine Steuerlast in Höhe von 22.500 Euro - mehr als der Anleger überhaupt eingenommen hat.

Die angestrebte Änderung soll für Termingeschäfte wie Derivate und Optionsscheine gelten. Die Verrechnung darf dann ebenfalls nur noch mit solchen Geschäften erfolgen. Verbleibende Verluste können zwar im Folgejahr geltend gemacht werden, allerdings ebenfalls nur bis zu 10.000 Euro. Das könnte zu einer Situation führen, dass man Steuern zahlen muss, ohne überhaupt Gewinne verbucht zu haben.

Das Fachmagazin „Der Zertifikateberater“ hat Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD Bundestagsfraktion, dazu befragt, warum das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz eine solche Änderung des Einkommenssteuergesetzes auf den Weg gebracht hat und onvista das Interview freundlicher Weise zur Verfügung gestellt:

DZB: Herr Binding, was ist das Ziel der Gesetzesänderung? Wen wollten Sie damit treffen?

Lothar Binding: Mit der Änderung reagieren wir auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. Bis 2016 wurden Verluste aus verfallenen Optionsscheinen steuerlich nicht anerkannt. Das Gericht rückte dann von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Der damalige Bundesfinanzminister, Wolfgang Schäuble, blieb leider untätig und ließ einen unbeschränkten Verlustabzug zu. Allen Steuerexperten war aber klar, dass es auf Dauer keinen unbeschränkten Verlustabzug geben würde. Nun lassen wir einen beschränkten Verlustabzug für Privatanleger zu. Damit sorgen wir dafür, dass Bürgerinnen und Bürger die von einer Gruppe von Zockern verursachten Verluste aus risikoreichen Finanzwetten nicht in vollem Umfang mitfinanzieren müssen.

Die Gesetzesänderung schränkt die steuerliche Abzugsfähigkeit von Verlusten ein. Wie soll das normale Bürger schützen?

Bisher ist es so, dass einige Trader, die sich auf den Handel mit Derivaten spezialisiert haben, sehr hohe Risiken eingehen, um überproportional hohe Gewinne zu erzielen. Gehen die Wetten nicht auf, bürden diese Anleger den Steuerzahlern ihre Verluste auf. Diese Praxis haben wir jetzt eingeschränkt. Ab 2021 sind Verluste aus Termingeschäften nur noch bis zu 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Erträgen aus Stillhaltergeschäften verrechenbar. Unsere Botschaft als Gesetzgeber lautet: Wer privat mit Derivaten zocken will, darf das gerne tun, muss dann aber oberhalb der Verlustabzugsbeschränkung auch das Risiko alleine tragen.

Es betrifft aber nicht nur Trader. Es gibt Anleger, die Optionen zur Depotabsicherung nutzen, Derivate also defensiv einsetzen, um Risiken im Depot zu reduzieren. Werden die Derivate mit Verlust verkauft, weil die Absicherung nicht nötig geworden ist, können sie diese Verluste nicht mit Gewinnen aus anderen Wertpapieren verrechnen.

Diese Konstellation ist im privaten Bereich doch sehr selten. Nur die wenigsten Privatanleger setzen Optionen gezielt zur Risikosteuerung ein. Solche Strategien werden eher von Profis genutzt. Und da greifen wir ja gar nicht ein. Professionelle, gewerbliche Investoren können Gewinne und Verluste wie bisher unbegrenzt steuerlich gegeneinander

Selbst wenn es so wäre, dass nur wenige Anleger Derivate in dieser Form einsetzen, würden Sie diese hart treffen. Denn durch die Begrenzung der Abzugsfähigkeit auf 10.000 Euro im Jahr ist es jetzt tatsächlich möglich, dass ein Anleger Steuern zahlen muss, obwohl er wirtschaftlich Verluste erzielt hat. Ist das Steuergerechtigkeit?

Steuergerechtigkeit ist so eine Sache. Anleger profitieren mit privaten Kapitaleinkünften vom günstigen Abgeltungssteuersatz. Es ist ein enormes Entgegenkommen des Staates, dass Gewinne aus Wertpapiergeschäften im Rahmen der Abgeltungsteuer vergleichsweise niedrig besteuert werden. Um Steuergerechtigkeit herzustellen, müssen wir dies erstmal überdenken.

Was nicht das Problem löst, dass eine Depotabsicherung mit Derivaten für Privatanleger in Zukunft nicht mehr sinnvoll ist. Denn Verluste aus Termingeschäften lassen sich nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften ausgleichen. Anleger könnten sich damit sogar genötigt sehen, zusätzlich in Derivate zu investieren, um ein steuerliches Minus zu vermeiden. Widerspricht das nicht der grundsätzlichen Idee?

Nein. Die Idee ist es, solche risikobehafteten Geschäfte im privaten Bereich nicht steuerlich zu fördern. Wenn private Anleger sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie an der Terminbörse riskante Wetten eingehen wollen, und wenn wir dazu beigetragen haben, dass sie davon Abstand nehmen, dann haben wir unser Ziel erreicht.

Das Interview und einen Artikel zu der geplanten Änderung des Einkommenssteuergesetzes finden Sie auch auf der Internetseite des Fachmagazins „Der Zertifikateberater“

Bislang ist die beschlossen Änderung des Einkommenssteuergesetzes – sie soll 2021 in Kraft treten – sehr kontrovers diskutiert worden. Wenn Sie auch zu dem Thema Stellung beziehen möchten, positiv oder negativ, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten dafür:

# 1 Direkt bei Ihrem/r Bundestagsabgeordneten. Auf der Abgeordneten-Seite des Deutschen Bundestags oder bei Abgeordnetenwatch finden Sie IHRE(N) Abgeordnete(n). Vielleicht rufen Sie einfach mal im Büro dieses/r Abgeordneten an, wenn er/sie Mitglied der Regierungskoalition ist, und verleihen Ihrer Meinung zur Steuerpolitik unserer Regierung in dieser speziellen Sachlage oder vielleicht gleich etwas globaler Ausdruck, freundlich, höflich, aber eben auch mit den Auswirkungen für Sie ganz persönlich.

# 2 Unterstützen Sie wie schon mehr als 38.000 andere die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und ihren Chef Marc Tüngler beim Kampf gegen gleich drei steuerliche Benachteiligungen von Privatanlegern: 1. Die Finanztransaktionssteuer, 2. Die Beibehaltung des Solidaritätszuschlages bei Kapitalerträgen und 3. Die Einschränkung der Verlustanrechnung. Hier geht es direkt zur DSW-Petition: Stoppt den Steuerirrsinn!

# 3 Unterstützen Sie gegebenenfalls darüber hinaus auch die sogenannte „Initiative für Steuergerechtigkeit“ und ihre Petition zur „Rücknahme der steuerlichen Benachteiligungen privater Anleger„. Hier sind bereits mehr als 16.000 Anleger(innen) engagiert.

Text: Markus Weingran / Interview: Der Zertifikateberater

Foto: wutzkohphoto / Shutterstock.com

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