Morphosys-Aktie: Hoffnung für Blutkrebs-Patienten

Alter sei keine Leistung, heißt es boshaft. Im Fall der deutschen Biotechnologiefirma Morphosys trifft dieser plumpe Spruch nicht zu. Denn in der Biotechbranche, die mit den Mitteln der Molekularbiologie nach neuen Wirkstoffen für Medikamente sucht, ist die durchschnittliche Überlebenszeit von Unternehmen gering. Viele hochfliegende Pläne zerschellen daran, dass eine vermeintliche Wunderarznei im Test an den Patienten doch nicht so gut hilft wie gedacht. Deshalb ist es an und für sich schon bemerkenswert, dass es Morphosys immer noch gibt, 26 Jahre nachdem es der aus Neuseeland stammende Chemiker Simon Moroney zusammen mit zwei deutschen Kompagnons gegründet hat. Noch interessanter ist, was Morphosys demnächst gelingen könnte. Bislang hat es nämlich noch keine einzige deutsche Biotechfirma geschafft, ein Medikament aus dem eigenen Labor bis zur Marktreife zu bringen und dann auch in eigener Regie zu vertreiben. Morphosys ist zurzeit der aussichtsreichste Kandidat, um daran etwas zu ändern. Diese Perspektive hat im Sommer für einen Höhenflug am Aktienmarkt gesorgt (siehe Grafik). An der Börse war Morphosys plötzlich mehr als dreimal so viel wert wie noch vor zwei Jahren. Der Aktienkurs stieg vorübergehend sogar auf den bisherigen Rekordstand aus dem Jahr 2000, dem Höhepunkt des damaligen Internethypes, als Biotechfirmen querbeet heillos überbewertet waren. Lohnenswerte Entwicklungspartnerschaften Morphosys hat seit der Gründung mehrere hundert Millionen Euro in Forschung und Entwicklung gesteckt, ohne dass sich der ganz große kommerzielle Durchbruch ereignet hätte. Gleichwohl lässt sich die Kursentwicklung erklären. Vor allem damit, dass sich die Firma unter Simon Moroney, Vorstandsvorsitzender seit 20 Jahren, ein stabiles zweites Standbein neben der Entwicklung neuer Wirkstoffe aufgebaut hat. Morphosys lässt Pharmakonzerne wie Novartis aus der Schweiz gegen Gebühr seine umfangreiche Sammlung von körpereigenen Abwehrstoffen nutzen, die wichtige Dienste für die Entwicklung potentieller neuer Arzneimittelwirkstoffe leisten. Außerdem hat die Firma für einige vielversprechende Substanzen aus dem eigenen Labor Entwicklungspartnerschaften mit finanzkräftigen Arzneimittelherstellern abgeschlossen, die mit Vorabzahlungen honoriert werden und im Erfolgsfall zu erklecklichen Lizenzeinnahmen führen. Das Vorzeigeprojekt dafür ist ein Mittel zur Behandlung der Schuppenflechte, von Morphosys entdeckt und zusammen mit dem amerikanischen Hersteller Janssen zur Marktreife gebracht. Janssen verkauft das Mittel nun an die Patienten, Morphosys ist an den Einnahmen beteiligt. Das ist ein einigermaßen verlässliches Geschäft. Anregender für Anleger könnte indes wirken, was Morphosys an diesem Wochenende im fernen San Diego vorhat. Dort stellen Wissenschaftler auf einem Medizinerkongress die Zwischenergebnisse einer klinischen Studie vor, deren Resultate vorentscheidend sind für die nähere Zukunft von Morphosys. Es geht dabei um einen neuen Wirkstoff zur Behandlung einer seltenen Form von Blutkrebs. Und in diesem Fall will sich Morphosys nicht mit Lizenzeinnahmen begnügen, sondern selbst das große Geschäft machen. Die amerikanische Arzneimittelbehörde hat das grundlegende Konzept dahinter vorab schon als „Therapiedurchbruch“ bezeichnet. Die zurzeit laufende Studie – ein Test an insgesamt 81 Patienten – ist die letzte Hürde auf dem Weg zur Marktzulassung. Jetzt kommt es darauf an, wie die schwerkranken Probanden tatsächlich auf die von Morphosys im Labor entwickelte Substanz reagieren. Etwas Mut sollten Anleger schon mitbringen Die bisher üblichen Medikamente verlängern das Leben der Patienten mit dieser Form von Blutkrebs im Durchschnitt um vier Monate ohne Rückfall. Das neue Präparat könnte diese Spanne nach den bisher vorliegenden Testergebnissen verdreifachen. Einige hundert Millionen Dollar Umsatz im Jahr erhofft sich das Morphosys-Management allein mit diesem einen Produkt, falls sich diese Annahme bestätigt. Das würde die Firma aus Planegg bei München in eine neue Größenordnung katapultieren. Für das laufende Jahr rechnet man insgesamt mit rund 70 Millionen Euro Umsatzerlösen und einem Verlust in zweistelliger Millionenhöhe. Verluste sind für Biotechfirmen üblich, zeigen aber auch: Etwas Mut sollten Anleger schon mitbringen. „Wenn alles gutgeht, könnten wir Mitte 2020 die Zulassung bekommen“, sagt Simon Moroney. In anderthalb Jahren also. Nach einem guten Vierteljahrhundert Vorlauf ist das nur noch ein Klacks. Für den Erfolgsfall gilt es vorbereitet zu sein. Um ein eigenes Vertriebsnetz aufzubauen, hat Morphosys sich jüngst frisches Geld in die Kasse geholt: 240 Millionen Dollar hat eine im Frühjahr vorgenommene Zweit-Plazierung der Aktie an der New Yorker Börse Nasdaq eingebracht. Moroney kommt regelrecht ins Schwärmen, wenn er von den Verhältnissen an der Wall Street spricht. Dort falle es Biotechunternehmen generell viel leichter, Geldgeber von sich zu überzeugen. An der Frankfurter Börse ist Morphosys im M-Dax geführt. Aber das Interesse in Amerika ist nach Moroneys Worten deutlich größer. „Wir haben dort rund 50 Fonds gefunden, die neu als Investoren dazugekommen sind“, sagt er. Vom Ärztekongress in San Diego wird er deshalb in der kommenden Woche direkt weiter nach New York reisen. Schließlich sollen auch die Geldgeber dort erfahren, was es Neues gibt vom Hoffnungsträger aus Planegg.