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Kolumne Vergessen Sie den „Schwarzen Montag“!

"Black Monday": Vor 30 Jahren brachen die Kurse an der Wall Street ein
"Black Monday": Vor 30 Jahren brachen die Kurse an der Wall Street ein
© Getty Images
Christian Kirchner über die Lehren aus dem „Schwarzen Montag“ von 1987: Wer aus diesem Börsencrash vor 30 Jahren etwas lernen will, sitzt in der Regel Scheinkausalitäten auf.

Jedes Paar, jede Familie kennt diese Szene: Man ist spät dran, muss morgens aus dem Haus und ist in der Hektik noch auf der Suche nach einem Schlüssel, Handy, Ladekabel oder Dokument. Statt ruhig zu suchen, ruft man lautstark nach dem Partner, ob er denn wisse, wo der Schlüssel sei.

Natürlich lautet die Antwort meist nein, und typischerweise folgt dann noch ein wertloser Suchhinweis - „Guck' doch mal am Schlüsselbrett“ - oder gar konstruktiver Vorschlag, etwa von dieser Art: „Halt doch mal Ordnung und tu' ihn hin, wo er hingehört, dann musst Du morgens hier nicht herumtoben.“

Mit dem Ergebnis, dass bestenfalls noch größere Hektik ausbricht, schlimmstenfalls noch zur Unzeit eine handfeste Diskussion über Ordnung aufkommt. Rational wäre es, den Schlüssel gezielt zu suchen. Stattdessen werden in der Zeit eines Wimpernschlags aus zuvor rationalen Erwachsenen bisweilen Menschen mit hochemotionalen Ausbrüchen und Verhaltensweisen eines Zweijährigen – ein Bild entlehnt aus diesem schönen US-Blogbeitrag.

Ungefähr so muss man sich auch den Crash 1987 vorstellen, der sich heute zum 30. Mal jährt. Der Tag ging in die Börsengeschichte als „Schwarzer Montag“ ein, an dem die Aktienmärkte zwischen 20 und 40 Prozent verloren. Warum? Weil wir nun mal merkwürdige Wesen sind, die zu emotionalen Reaktionen neigen, insbesondere dann, wenn es um Verluste geht. Egal, ob es um den Schlüssel geht oder den Aktienbesitz.

Es ist keine schöne Vorstellung, sich mit hart erarbeitetem Geld dem Risiko solcher kollektiven Ausbrüche, so selten sie sein mögen, freiwillig auszusetzen, indem man Aktien kauft.

Also entwickeln wir das Muster, für Kursentwicklungen – und hier besonders Crashs - Kausalitäten zu erfinden, die wir gar nicht belegen können, aber plausibel klingen. Für den 1987er Crash etwa: Die Computer waren schuld. Die anziehende Inflation war schuld. Der starke Anstieg vorher war schuld. Der schwache US-Dollar war schuld. Die Rede des damaligen US-Finanzministers James Baker war schuld.

Die Suche nach Parallelen zu damals

Bis heute liegt das alles im Dunkeln, es war ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren unbekannter Gewichtung - Börsenorder haben kein Pflichtfeld für die „Begründung“ der Transaktion - aber wir beruhigen uns damit, dass es gute Gründe für den Einbruch gegeben hat. Ein massenpsychologisches Phänomen, dass nun mal eine Weile alle in die eine und dann in die andere Richtung getrampelt sind, klingt zu banal.

Zwar blicken wir gerne auf historische Börsenereignisse an Jahrestagen zurück. Allerdings geht es dabei so gut wie nie um erfreuliche Jahrestage, etwa das Überschreiten markanter Kursmarken . Sondern in aller Regel um Jahrestage historischer Höchststände oder Krisen, ab denen es abwärts ging. Oder eben gleich um typische Crashs wie eben 1987.

Der Ball, der dann bildlich gesprochen, für Analysten und Kommentatoren einige Zentimeter vor der Torlinie liegt, mündet in folgende Analyse: Es gebe da ja einige Parallelen zu damals, und natürlich könnte so ein Crash jederzeit wieder passieren. So etwas lesen auch jene vier Fünftel der Menschen hierzulande gerne, die keine Aktien besitzen, denn es bestärkt sie in ihrer Haltung, besser die Finger von Aktien zu lassen.

Ein Börsencrash droht jederzeit

Die Information, dass es Parallelen gibt und jederzeit einen Crash geben kann, ist nett – aber für Anleger wertlos. Genauso wie Kursziele auf Sicht einiger Monate. Man kann sie als nette Unterhaltung konsumieren, aber aus historischen Crashs etwas lernen zu wollen für die eigene Strategie, Hinweise erhalten zu wollen, ob denn noch ein Crash drohe, ist ein aussichtsloses Unterfangen.

Dummerweise droht ein Crash an der Börse in jeder Sekunde, und dabei spielt es auch keine Rolle, ob wir eine mehrjährige Talfahrt der Kurse hinter uns haben oder eine mehrjährige Rally wie aktuell. Die Zauberformel, die Crashgefahren identifizieren kann, gibt es nicht, egal was „Crashgurus“ behaupten.

Natürlich gibt es Parallelen zu 1987. Die vermutlich wichtigsten: Die Aktienmärkte haben eine mehrjährige Rally hinter sich. Der Optimismus für die Konjunkturentwicklung ist groß. Viele Investoren verlassen sich auf computergesteuerte Absicherungen, die ihnen suggerieren, im Fall einer Krise könnten sie schon rechtzeitig verkaufen. Vereinfacht: wenn es runter geht oder die Nervosität steigt, dann bauen wir eben unsere Aktienpositionen ab, aber solange es läuft, bleiben wir drin. Beides spricht dafür, dass sich ein Kursrückgang rasch selbst verstärken kann.

Es gibt aber auch gewaltige Unterschiede. Solche, die Angst machen, etwa, dass die Notenbankunterstützung für die Kapitalmärkte über Liquiditätshilfen und Niedrigzinsen schon quasi am Anschlag sind. Damals hingegen konnten die Notenbanken ein Überspringen der Krise auf die Realwirtschaft verhindern, und schon binnen zwei Jahren waren die Verluste in den USA wieder aufgeholt.

Es gibt aber auch Unterschiede, die beruhigender sind, zum Beispiel, dass die Bewertung der Aktienmärkte – nehmen wir exemplarisch die US-Börse – unmittelbar vor dem Crash 1987 nicht wesentlich höher waren als heute. Der US-Standardwerteindex S&P 500 wies Mitte 1987 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 23 auf, heute liegt es bei 25.

Nun wäre das eigentlich ein Grund zur Sorge, die damalige Bewertung billigten Anleger den US-Aktien allerdings zu einer Zeit zu, in der US-Staatsanleihen mit zwei Jahren Laufzeit gut neun und zehnjährige Papiere gut zehn Prozent Rendite einbrachten. Da blieb selbst nach Abzug der Inflation von seinerzeit gut vier Prozent ein risikoloser Realzins von fünf bis sechs Prozent pro Jahr übrig. Heute fluktuiert der risikolose Realzins mit Anleihen bestenfalls zwischen null und einem Prozent.

Wir wissen es einfach nicht

Was lernen wir aus dem Crash 1987? Wer Aktien langfristig kauft und hält, für den ist nach neun Jahren Kursrally auch ein Crash morgen früh in den Ausmaßen von 1987 verkraftbar. Und das auch, wenn Kommentatoren dann wieder das Ende der Börsenwelt, wie wir sie kennen ausrufen und eine Hand voll Crashgurus zu Ruhm kommen werden, die alles kommen gesehen haben.

Parallelen zu 1987 gab es schon zum 25-jährigen Jubiläum 2012. Und hätte es danach gerappelt, würden wir heute logisch klingende Erklärungen dafür hören: die ignorierte Euro-Krise, die hohen Bewertungen, die Notenbankexperimente.

Es hat aber nun mal nicht gerappelt, sondern der Dax ist von damals 7200 Punkten um über 80 Prozent auf heute 13.000 Punkte gestiegen. Macht das einen Crash wahrscheinlicher? Vielleicht. Liegt auf Sicht der nächsten Jahre der größte Teil der Rally hinter uns? Vermutlich. Dürften die Aktienrenditen der kommenden Jahre eher klein ausfallen? Wahrscheinlich.

Sollte man aber deswegen besser raus aus Aktien? Auf keinen Fall. Es sei denn, man verträgt keine Hitze, hampelt aber trotzdem in der Küche herum.

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